本文《China hebt ab》关键词:德语 Die Wirtschaft wächst um acht Prozent, 250 Millionen Menschen suchen Arbeit: Im Zeitraffer wird die Volksrepublik zur Industrienation - und muss soziale Probleme lösen, wie es noch nie gab
Die Inneneinrichtung Ton in Ton, das Licht indirekt und warm, die Serviererinnen in grüner Seide: Chen Zhangliang empfängt im Separée eines modernen Pekinger Geschäftshotels. Der Mann im feinen Anzug kommandiert, als sei er der Herr im Haus. Tatsächlich gehört das Hotel auch nicht Hyatt oder Kempinski, sondern der Landwirtschaftsuniversität mit 14000 Studenten, die der 42-jährige Biogenetiker leitet.
Chen, Typ nervöser Südchinese, redet Englisch ohne Schnörkel und ohne Unterlass. Aber nicht von Labororganismen, sondern von 100000 Chinesen, die jährlich im Straßenverkehr sterben. Das sind furchtbar viele, wenn man bedenkt, dass bisher nicht einmal jeder hundertste Chinese Auto fährt. Diese Glücklichen aber fahren wie die Henker. Chen schließt für einen Moment die Augen.
Außerhalb des Regierungsviertels rund um den Platz des Himmlischen Friedens wird die Polizei auf den breiten Straßen Pekings kaum beachtet, und auf den holprigen Wegen draußen im Land schon gar nicht. Autofahren bedeutet Freiheit, jeder braust umher, so gut er kann. Die Eigentümer moderner Karossen teilen sich die Straßen mit Bauern auf ihren Traktoren und Blaumännern in alten Kommunistenlastern. Wo es keine Extraspuren gibt, stoßen noch die Fährrader und Rikschas dazu. Der Stärkere gewinnt.
Chen ist im Nebenjob ein ranghoher Abgeordneter im Nationalen Volkskongress – und stolz auf die Arbeit seines Ausschusses. Früher sei man ein Ja-Sager-Parlament gewesen, jetzt nicht mehr. So hätten die Abgeordneten durchgesetzt, dass Autofahrer ab sofort von Gesetzes wegen herangezogen werden, wenn sie einen Fußgänger verletzen. Außerdem wollte man die langsamen Traktoren von den großen Straßen fern halten. Das aber versetzte die Landbevölkerung und somit den Agrarminister in Aufruhr. Der Kompromiss: Für Traktoren mit Anhänger ist künftig das Innenministerium zuständig, sie brauchen eine teure polizeiliche Zulassung. Einfache Traktoren, die nur von Feld zu Feld tuckern, sind weiter Sache der Landwirtschaftsbehörde und frei von allen Auflagen.
Chen breitet die Arme aus. Die Frage sei schnell und pragmatisch abgearbeitet worden, ohne dass die mächtige Parteispitze sich eingemischt hätte. Willkommen im neuen China.
Vor einem Vierteljahrhundert schickte Deng Xiaoping als faktischer Landesherr das größte Volk der Erde auf den langen Marsch in den Kapitalismus. Reich werden sei erstrebenswert, gab er später als Motto aus, aber nicht alle könnten auf einmal reich werden – nicht alle Regionen und nicht alle Menschen. In diesem Plädoyer für Ungleichheit, das auch heute noch jeder Chinese kennt und fast jeder akzeptiert, steckt das Versprechen, dass irgendwann alle zu Wohlstand kommen.
Davon ist gegenwärtig wenig zu sehen. In den Städten wächst der Wohlstand dank eines Dauerbooms schnell, während mehr als 700 Millionen Chinesen auf dem Land mit sinkenden Durchschnittseinkommen leben müssen. Dass China bald zu einer führenden Wirtschaftsnation aufsteigen wird, ist fast sicher. Derzeit entscheidet sich, welche Spielart des Kapitalismus sich durchsetzt.
Charles Zhang Chaoyang, bekannt als „Chinas Bill Gates“, hat eindeutig die freiheitliche Variante im Kopf. Er predigt den Segen freier Märkte, die am besten „entscheiden, was funktioniert“. In seinem Internet-Unternehmen Sohu.com in der Pekinger Innenstadt sieht es aus wie in einer kalifornischen Netzfirma. An den aufgereihten Computern sitzen junge Webmanager, Programmierer und Marketingleute in coolen Klamotten von Gap oder neuen einheimischen Marken. Sie essen Donuts oder Muffins, und vor ihnen steht eine Warmhaltetasse von Starbucks. „Junge Leute wollen wiederholen, was ich geschafft habe“, sagt der 38-jährige Gründer. Abends in der Suzie-Wong-Bar bestellt er sich dann ein Corona-Bier.
Li Ning setzt andere Prioritäten. „Chinas Mr Nike“ beherrscht mit seinen Turnschuhen ein Drittel des chinesischen Marktes. Auch er ist ein Vorbild für die ehrgeizige Jugend des Landes, weil er es erst als Weltklasseturner, dann als Selfmade-Unternehmer geschafft hat. Doch zählbarer Erfolg reicht Li nicht. Ihm ist wichtig, „dass die Regierung das Problem wachsender Ungleichheit erkannt hat“. Zwar seien die Chinesen heute ein offenes Volk, als Konsumenten hätten sie bereits ein starkes Qualitätsbewusstsein entwickelt. „Aber die Moral muss erst noch zur Gewohnheit in unserer Gesellschaft werden.“
25 Jahre Boom und kein Ende
Zwei Unternehmer – zwei Botschaften. Der eine präferiert die radikale Variante der Marktwirtschaft, der andere die soziale. Doch in einem Punkt sind sie sich einig: Chinas Kapitalismus absorbiere zwar westliche Einflüsse, werde aber ganz und gar eigenständig bleiben.
Im Zeitraffer, so wie Blumen in Naturfilmen erblühen, holt das Land die Entwicklung zur Industrienation nach. Die Kennzahl dafür ist acht. Nicht acht Bilder pro Sekunde, sondern acht Prozent Wachstum im Jahr. Seit 25 Jahren wächst die Wirtschaft durchschnittlich in diesem Tempo, und im laufenden Jahr legt sie noch schneller zu, obwohl im Frühling die Sars-Seuche herrschte. Für 2004 rechnen zwar viele Ökonomen mit einer Abkühlung, was in China immer noch sechs bis sieben Prozent Zuwachs bedeutet, aber die Experten der Investmentbank Goldman Sachs haben ihre Meinung schon revidiert: Sie erwarten für dieses Jahr 8,7 Prozent, fürs nächste 9,5 Prozent.
Wenn eine Wirtschaft mit acht Prozent wächst, verdoppelt sich ihre Leistung alle neun Jahre. Und das Volkseinkommen. Und der Konsum. Derzeit gibt es wenig Gründe, warum das Wachstum nicht ein weiteres Jahrzehnt und länger anhalten sollte, ohne dass es von der Inflation aufgefressen wird. „Alles ist noch unterausgelastet“, sagt der Ökonom Hu Biliang von der Akademie der Sozialwissenschaften in Peking. Jetzt, da die Regierung die innerchinesischen Umzugsbeschränkungen gelockert hat, streben junge Menschen zu Millionen in die Städte, um ihr Glück zu machen. Dieses Ersatzheer wird noch lange dafür sorgen, dass die Löhne nicht in die Höhe schießen. Auch an Kapital besteht kein Mangel. Gegenwärtig sparen die Chinesen über 30 Prozent ihres Volkseinkommens, während die Zentralbank mit ihren Devisenreserven von etwa 350 Milliarden Dollar einer Kapitalmarktkrise begegnen kann. Zwar ist der Immobilienmarkt in Peking und in Shanghai samt Umgebung überhitzt. Aber der Boom bewegt sich weiter – in all die Provinzstädte, die nun schnell zu „mittelgroßen“ Zentren von drei bis fünf Millionen Einwohnern wachsen und die berühmten Metropolen entlasten sollen.
Das alles sind gute Gründe für Optimismus. Es gibt einen besseren: Die nach wie vor allmächtige Kommunistische Partei hat sich dem Wachstum verschrieben. Sollte es abbrechen, versinkt China im Chaos.
Cao Yushu, stellvertretender Chef der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission, leugnet das gar nicht. Die Mathematik der Reform, die er in aller Ruhe erläutert, ist atemberaubend. Über 100 Millionen Wanderarbeiter kommen derzeit vom Land in die Städte, um sich etwa als Tagelöhner auf dem Bau zu verdingen. Nur für die Erntezeit kehren die meisten nach Hause zurück. Zusätzlich gibt es auf dem Land noch rund 150 Millionen unterbeschäftigte Chinesen. Es werden immer mehr, weil die Landwirtschaft effizienter werden muss, damit einerseits die Löhne steigen können und andererseits billige Agrarimporte die heimischen Waren nicht verdrängen. Außerdem haben rund 14 Millionen Entlassene aus den Staatsunternehmen noch keinen neuen Job gefunden. Und ein beträchtlicher Teil der über 30 Millionen Staatsdiener in Behörden und Parteistuben gilt als überflüssig. „Die einzige Lösung ist eine weitere schnelle Entwicklung“, sagt Cao. Im Jahr kämen noch zehn Millionen junge Arbeitskräfte hinzu, davon über zwei Millionen Hochschulabsolventen. Bei acht Prozent Wachstum werde die nachrückende Jugend gerade so mit Arbeitsplätzen bedient – die übrigen 250 Millionen Jobsuchenden noch nicht.
Gnadenloser Pragmatismus
Um den rasenden Zug auf dem Gleis zu halten, verfolgt die Partei die Strategie des gnadenlosen Pragmatismus. Egal, ob eine Katze weiß oder schwarz sei, Hauptsache, sie fange Mäuse, sagte Deng dazu. Noch immer gilt das Wort der Partei alles, aber es wird ständig der kapitalistischen Realität angepasst.
Nur das Reformtempo ist innerhalb der Regierung umstritten. Mit dem neuen Präsidenten Hu Jintao und seinem Premier Wen Jiabao regieren ehemals überzeugte Kommunisten das Land, die sich unter Dengs Einfluss zu zentralstaatlich denkenden Marktwirtschaftlern entwickelt haben. Ihnen ist das Wachstum wichtig, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und das Einkommen der Bauern.
Minister Fu Zhihuan, ein Ingenieur, der als junger Mann in Deutschland gearbeitet hat, gehört zu dieser Pekinger Garde. „Wir haben bisher 133 Wirtschaftsgesetze erlassen“, sagt er. Aber ein unabhängiges Rechtssystem, wie es sich nicht nur Regimekritiker, sondern auch ausländische Inv[1] [2] [3] 下一页
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